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Coaching-Varianten

Vorgesetzten-Coaching

Varianten im Coaching

Unter einem Coaching durch den Vorgesetzten – auch Vorgesetzten-Coaching genannt – ist ein entwicklungsorientiertes Führen von Mitarbeitern zu verstehen. Paradoxerweise ist diese Variante des Coachings auch unter Experten sehr umstritten, obwohl es sich um die ursprüngliche und auch heute noch im angloamerikanischen Raum vorherrschende Variante des Coachings handelt

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Unter einem Coaching durch den Vorgesetzten – auch Vorgesetzten-Coaching genannt – ist ein entwicklungsorientiertes Führen von Mitarbeitern zu verstehen. Paradoxerweise ist diese Variante des Coachings auch unter Experten sehr umstritten, obwohl es sich um die ursprüngliche und auch heute noch im angloamerikanischen Raum vorherrschende Variante des Coachings handelt

Merkmale des Coachings durch den Vorgesetzten

Zielgruppe des Coachings durch den Vorgesetzten sind i.d.R. dessen unmittelbare Mitarbeiter, die im Rahmen eines Personalentwicklungskonzeptes zielgerichtet beraten und angeleitet werden.  Diese Aufgabe hat der Vorgesetzte allen seinen Mitarbeitern gegenüber – ohne zeitliche Begrenzung – wahrzunehmen. In der Praxis konzentriert sich das Coaching aber oftmals auf neue Organisationsmitglieder, womit teilweise die Grenzen zum Mentoring aufgehoben sein dürften.

Grundsätzlich sehen die Befürworter des Coachings durch den Vorgesetzten es als originäre Aufgabe einer Führungskraft an, bei Problemen ihrer Mitarbeiter unterstützend einzugreifen. Um dies effizient leisten zu können, ist eine tragfähige Beziehung zum Mitarbeiter nötig, die als Voraussetzung für eine erfolgreiche Führungsarbeit gesehen werden kann. Wird diese Beziehung zum Mitarbeiter vernachlässigt, ist weder ein effektives Führen noch ein Coaching möglich. Somit benötigt der Vorgesetzte die „Coaching-Kompetenz“ – also u.a. die Fähigkeit, Beziehungen aktiv zu gestalten – nicht nur für das Coaching, sondern generell für seine Arbeit.

Kritik

Die Kritiker des Vorgesetzten-Coachings berufen sich hingegen insbesondere auf folgende Argumente:

Das ursprüngliche Coaching-Konzept stammt aus dem anglo-amerikanischen Kulturkreis und kann nicht auf hiesige Verhältnisse übertragen werden. Schon aufgrund der Arbeitnehmerrechte ist in Deutschland eine Betreuung bis in persönliche Bereiche zumindest formal unmöglich.

Findet dennoch eine Auseinandersetzung mit persönlichen Bereichen des Mitarbeiters statt, kann dies die Arbeitsbeziehung zum Vorgesetzten belasten. Da persönliche Probleme oftmals mit der beruflichen Situation zusammenhängen (und umgekehrt), würde ein Wegfall dieser Bereiche ein effektives Coaching ggf. unmöglich machen.

Da Mitarbeiter überwiegend für bestimmte Aufgaben qualifiziert, angeleitet und motiviert werden, bleibt fraglich, ob ein solcher Vorgang als „Coaching“ bezeichnet werden kann; und eine Beratung bzgl. fachlicher Inhalte ist von einer Führungskraft ohnehin zu erwarten.

Selbst bei rein fachlichen Problemen muss die Offenheit der Mitarbeit teilweise bezweifelt werden, da der Vorgesetzte auch zu beurteilen und zu kontrollieren hat. Ggf. empfindet der Mitarbeiter das „Coaching“ eher als zusätzliche Kontrolle.

Es muss klar sein, mit welchem Ziel der Vorgesetzte den Mitarbeiter coacht. Die unternehmenszielorientierte Beeinflussung der Mitarbeiter ist im normalen Rahmen zwar legitim, aber kein Coaching.

Die Folge: Es kann zu Rollenkonfusion beim Vorgesetzten kommen, der sowohl der Organisation als auch dem gecoachten Mitarbeiter verpflichtet ist.

Im Zweifelsfall ist die Neutralität des Coachs damit stark gefährdet – ein Umstand, dessen sich die Mitarbeiter natürlich bewusst sind, was eine echte Beratung nahezu unmöglich machen dürfte.

Folge: Vorgesetzte werden sich der ungeliebten Aufgabe entziehen (z.B. durch "Zeitmangel") oder den Rahmen des Coachings so eng halten, dass kaum noch von Beratung gesprochen werden kann. Sogar wenn das Coaching durch den Vorgesetzten diese Probleme erfolgreich löst, kann es langfristig kontraproduktiv wirken: Eine andauernde Beratung kann auch hoch befähigte Mitarbeiter eher abhängig machen, als zu selbstständigem Denken und eigenverantwortlichem Handeln zu motivieren.

Die Kritik in Kurzform

Ein Vergleich der Kernelemente von Führung und Coaching zeigt bereits deutliche Unterschiede.

Kernelemente des Coachings sind:

  • Freiwilligkeit
  • Vertrauen
  • Eigenes Anliegen / Eigene Ziele des Klienten
  • Wille zur Veränderung des Klienten
  • Gleiche Augenhöhe zwischen Coach und Klient
  • Gegenseitige Akzeptanz
  • Offenheit
  • Diskretion
  • Neutralität

Führung bedeutet hingegen:

  • Zwang (die Führungskraft hat Weisungsbefugnis und formale Macht)
  • Vertrauen (ist möglich und wünschenswert)
  • Unternehmensziele werden verfolgt
  • Wille zur Veränderung (ist möglich)
  • Hierarchie (strukturbedingt)
  • Gegenseitige Akzeptanz (möglich)
  • Offenheit (bedingt möglich)
  • Beurteilung in Akte
  • Unternehmenszielorientierte Beeinflussung

Rahmenbedingungen für ein Coaching durch den Vorgesetzten

Bei Berücksichtigung der Pro- und Kontra-Argumente wird deutlich, dass es von den individuellen Rahmenbedingungen und der menschlichen als auch fachlichen Kompetenz des coachenden Vorgesetzten abhängig ist, ob überhaupt ein fundiertes Coaching möglich ist. Grundsätzlich kann ein Coaching durch einen Vorgesetzten erst nahegelegt werden …

  • wenn Mitarbeiter entwicklungsorientiert geführt werden wollen
  • wenn im Vorfeld klar ist, dass hauptsächlich berufliche Aspekte zu thematisieren sind
  • wenn auf die (Kultur-)Neutralität des Coachs kein besonderer Wert gelegt wird
  • wenn die Organisationskultur Coaching als positiv bewertet
  • wenn die Interessen des Klienten mit denen seiner Organisation übereinstimmen
  • wenn nicht notwendigerweise bisher (organisationsintern) unbekannte Lösungen gefunden werden sollen
  • wenn fachliche Fragen mit einer auch kontrollierenden und bewertenden Führungskraft vertieft aufgearbeitet werden sollen
  • wenn Unterstützung beim Aufbau von Führungskompetenz gesucht wird
  • wenn organisationsinterne Personalentwicklungsmaßnahmen durch den Vorgesetzten unterstützt werden sollen
  • wenn die Vorgesetzten freiwillig die Coach-Rolle wünschen
  • wenn den Vorgesetzten für ihre coachende Tätigkeit Zeiträume zur Verfügung gestellt werden
  • wenn die Supervision für die Vorgesetzten gesichert ist

Fazit

Insgesamt wird damit deutlich, wie stark sich Führung und Coaching schon in ihren Kernfunktionen unterscheiden. Natürlich haben beide Disziplinen ihre Berechtigung. Eine Vermengung ist allerdings riskant, weil als Ergebnis schlechtes Coaching und schlechte Führung droht.

Hinzu kommt, dass nicht wenige Führungskräfte bereits mit ihrer Führungsaufgabe überfordert sind. Sie dann auch noch zusätzlich als Coach einsetzen zu wollen, ist schlichtweg aus Zeit- und Kompetenzmangel oft nicht möglich.

Eine anleitende Führungskraft, welche Mitarbeiter motiviert, als „Vorgesetzten-Coach" zu bezeichnen, macht somit wenig Sinn. Letztlich darf es als Selbstverständlichkeit gesehen werden, dass Führungskräfte solche Aufgaben wahrnehmen. Somit wäre es eher verwirrend, dies als "Coaching" zu bezeichnen. Es ist Führung und sollte auch eindeutig als solche benannt werden.

Literatur

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David Ebermann

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